Virtuelle Ringvorlesung

Die Corona-Krise stellt die Welt vor zahlreiche Herausforderungen. Welche epidemiologischen, medizinischen, wirtschaftswissenschaftlichen ebenso wie theologischen oder philosophischen Fragen stellen sich im Umgang mit der Pandemie? Dies war das Thema der Ringvorlesung des Sommersemesters, die gemeinsam von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, der Universität Göttingen sowie erstmalig auch dem Göttingen Campus veranstaltet wurde. Die Vorträge sind langfristig auf You Tube verfügbar.

Nachdem die erste Welle der COVID-19-Pandemie in vielen Staaten durch weitreichende Beschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens unter Kontrolle gebracht wurde, bewegen sich Infektionszahlen – bei sukzessiver Lockerung der Maßnahmen – größtenteils auf niedrigem Niveau. Nun gilt es, mit einer geeigneten Langzeitstrategie das Wiederaufflammen der Epidemie zu verhindern, bis ein geeigneter Impfstoff bereitsteht, auch wenn sich die Ausbreitungsdynamik durch weitere Lockerungen beschleunigen sollte. Göttinger Forscher*innen haben eine erweiterte Version des in der Vorlesungsreihe bereits vorgestellten SIR-Modells mit Daten zum bisherigen Infektionsverlauf und zu regionalen Strukturen in mehreren Staaten verknüpft, um herauszufinden, unter welchen Bedingungen lokal angewandte Eindämmungsmaßnahmen durch ihr Zusammenwirken zur effektiven Kontrolle der Epidemie beitragen können.
Wie bei solchen Strategien besondere Effekte im „Regime kleiner Zahlen“ ausgenutzt und damit möglicherweise eine Verminderung der notwendigen Einschränkungen erreicht werden könnte, darüber spricht Dr. Philip Bittihn vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation.

Die Rate der Neuinfektionen mit dem Corona-Virus hat sich in Deutschland auf einem niedrigen Niveau stabilisiert. Die globale Situation hingegen sieht vollkommen anders aus. Erst am Wochenende vermeldete die WHO den höchsten Anstieg nachgewiesener Neuinfektionen an einem Tag. Die Schwerpunkte liegen in den USA in Brasilien, Russland und besonders dynamisch in Indien. Auch mehrere lateinamerikanische Länder sind stark betroffen. Das Virus hat viele Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen endgültig erreicht.

Über den bisherigen Umgang mit der Krise, die Passgenauigkeit von Gegenmaßnahmen und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, spricht Prof. Dr. Sebastian Vollmer. Als Professor für Entwicklungsökonomik mit Schwerpunkt Südasien und Direktor des Centre for Modern Indian Studies der Universität Göttingen ist die Untersuchung von Zusammenhängen von Armut und Gesundheit seit vielen Jahren sein Hauptforschungsgebiet.
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Seit Monaten beherrscht das Thema Corona die Nachrichten in Zeitung, Fernsehen und Social Media. Rund um die Uhr werden wir mit Informationen versorgt, erfahren, wo sich das Virus ausbreitet, welche neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse es gibt, wie sich die Suche nach einem Impfstoff entwickelt und können Wissenschaftler*innen im Podcast zuhören. Was macht diese Berichterstattung mit uns? Verändert sie unser Medienverhalten? Lässt sie uns Wissenschaft und Forschung in einem neuen Licht sehen? Klärt sie auf oder schürt sie eventuell auch Ängste?

Diesen und vielen weiteren Fragen geht Senja Post, Professorin für Wissenschaftskommunikation, in der Ringvorlesung nach. In ihrem Vortrag blickt sie auf Chancen und Risiken von Wissenschaftskommunikation, analysiert wie in den Medien über das Thema Corona berichtet wurde, wer sich in diesen Diskussionen zu Wort gemeldet hat und wie sich dies auf die politische und gesellschaftliche Wahrnehmung der Corona-Krise auswirkt.
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Ist das Tragen von Masken, sogenanntem Mund- und Nasenschutz, sinnvoll um die Ausbreitung der Covid-19 Epidemie zu verlangsamen? Von Beginn der „Coronakrise“ an, stand die Frage nach der Wirksamkeit von Masken im Raum. Antworten kann die Aerosolchemie geben.

Mit zunehmendem Fokus auf die Rolle sogenannter Superspreading-Ereignisse für das Infektionsgeschehen rückte der zunächst zweitrangig eingeschätzte Übertragungsweg über Aerosole in den Vordergrund. Was sind Aerosole, was sind Tröpfchen, was sind die gesicherten Erkenntnisse über ihre Eigenschaften im Kontext der Epidemie und inwieweit können Masken schützen? Diesen Fragen wird Prof. Dr. Thomas Zeuch von der Fakultät für Chemie in seinem Vortrag aus einer physikalisch-chemischen Perspektive nachgehen.
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Das Coronavirus – seit drei Monaten hören wir nichts anderes und scheinen mittlerweile immer mehr darüber zu wissen. Im Januar und Februar 2020 sah das noch anders ganz aus – auch für Regierungen. Sie mussten Entscheidungen unter sehr weitgehender Unsicherheit über Art, Schwere und Verlauf der Covid19-Erkrankung treffen.
Wie reagierten die Regierungen in Europa auf die Krise und was beeinflusste ihre Entscheidungen sowie deren Zeitpunkt? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des Vortrags. Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Andreas Busch aus der Sozialwissenschaftlichen Fakultät wird die verschiedenen getroffenen Maßnahmen schildern und anhand von Beispielen nach Gründen für Unterschiede bei Entscheidungen und Entscheidungszeitpunkten fragen. Spielten Unterschiede bei Institutionen (etwa im Staatsaufbau) und politische Präferenzen (etwa die „Farbe“ der Regierungspartei) eine Rolle?
Angesichts der trotz sehr ähnlicher Problemstellung ausgesprochen unterschiedlichen Verläufe der Pandemie sind diese Fragen nicht nur von politikwissenschaftlichem Interesse, sondern auch von großer praktischer Bedeutung für zukünftige Herausforderungen im Bereich der Pandemiebewältigung.
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Biodiversität contra Corona – Was hat der Erhalt von Arten und ihren Lebensräumen mit der Covid-19 Pandemie zu tun?

Die Covid-19 Pandemie dominiert derzeit unser tägliches Leben. In den Medien und der Öffentlichkeit wird viel über das Virus selbst und über die besten Strategien zu dessen Eindämmung diskutiert. Tatsächlich ist Covid-19 nur eine von rund 200 Krankheiten, die zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können. Solche sogenannten Zoonosen haben auch in der Vergangenheit immer wieder für Epidemien und auch Pandemien gesorgt. In den letzten Jahren treten allerdings vermehrt neue Erreger in Erscheinung, die von Wildtieren auf Menschen übertragen werden. Ein Grund hierfür ist der weltweit zu beobachtende Verlust natürlicher Lebensräume und der damit einhergehende Artenschwund.

Dieses Phänomen erläutern Prof. Dr. Niko Balkenhol und Prof. Dr. Andreas Schuldt von der Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie in ihrem Beitrag.  Sie zeigen außerdem, wie die Zerstörung von Lebensräumen zu einem erhöhten Infektionsrisiko für Menschen führt, und wie Artenreichtum und -zusammensetzung sich auf das Auftreten und die Ausbreitung von Zoonosen auswirken. Der Vortrag basiert auf den Ergebnissen internationaler Studien und bringt Beispiele aus verschiedenen Epochen und unterschiedlichen Regionen der Erde.
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Seit Mitte März haben Wissenschaftler*innen des Göttingen Campus den Verlauf der Corona-Epidemie in Deutschland in verschiedenen Modellrechnungen simuliert. Dabei haben sie die Beschränkungen des öffentlichen Lebens mit der Entwicklung der COVID-19-Fallzahlen in Bezug gesetzt. Besondere Aufmerksamkeit lag auf den Auswirkungen der Absage großer Veranstaltungen, der Schließung von Bildungseinrichtungen und Geschäften sowie den weitreichenden Kontaktsperren. Dazu kombinierten die Forscher*innen Daten über den zeitlichen Verlauf der COVID-19-Neuerkrankungen mit einem Modell für Epidemiedynamik, das es erlaubt, den bisherigen Pandemieverlauf zu analysieren und Szenarien für die Zukunft zu untersuchen.
Dr. Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation erläutert, wie mit Hilfe von Modellrechnungen Effekte der Verhaltensänderung der Menschen gezeigt werden können.
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Die ersten Wochen der Corona-Pandemie haben in vielen Ländern gezeigt, wie dynamisch sich Viren und Erkrankungen verbreiten können. Um auf diese Dynamik angemessen reagieren zu können, sind epidemiologische Vorhersagen notwendig. In dem Vortrag wird das SIR-Modell, ein klassischer Ansatz zur Beschreibung der Ausbreitung von ansteckenden Krankheiten mit Immunitätsbildung, Schritt für Schritt vorgestellt. Die Zuhörer*innen können das Modell mit diesen Informationen anschließend selbst, zum Beispiel mit einem Taschenrechner, ausprobieren.
Gegenstand des Vortrags ist auch der Wert des Modells für politische Entscheidungen über Gegenmaßnahmen beim Ausbruch einer Seuche. Dabei wird es unter anderem um die Frage gehen, wie genau quantitative Prognosen sind, wie die Modelle verbessert werden können und welche chaotischen Elemente in der Seuchendynamik präzise Vorhersagen über lange Zeiträume verhindern.
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Einer der ersten Amerikaner, der über die Ausbreitung von Epidemien schrieb und diese bekämpfte, war Benjamin Franklin, der 1766 auch Göttingen besuchte. Während der Bostoner Pockenepidemie von 1721 war er als junger Mann jedoch eng mit den Gegnern der Impfung verbunden.  Im zeitgenössischen Sprachgebrauch wäre der junge Franklin ein Anti-Vaxxer gewesen.  Was seine Meinung änderte, war sein rigoroser Empirismus; er war bereit, neue Beweise in Betracht zu ziehen. Der Zusammenstoß seiner eigenen Familie mit den Pocken brachte große persönliche Tragödien mit sich. Gleichzeitig versuchte er sein Leben als Fallstudie zu betrachten.  Dieser distanzierte Blick auf das Selbst, der als eine Verinnerlichung der sozialen Distanzierung angesehen werden könnte, trägt dazu bei, den unpersönlichen Charakter von Franklins berühmter Autobiographie zu erklären.
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Welche Rolle könnte die Literatur bei der heutigen Beschäftigung mit Covid 19 spielen? Am Beispiel von Albert Camus‘ Roman Die Pest aus dem Jahr 1947 soll überlegt werden, in welcher Weise Epidemien die üblichen literarischen Darstellungs- und Erzählweisen herausfordern und an ihre Grenzen führen und inwiefern sie uns als Leser*in an der Schwierigkeit teilhaben lassen, der Krankheit einen Namen zu geben.
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Seit jeher lassen besondere Ereignisse, Krisen und vor allem Katastrophen Menschen nach einem tieferen Sinn hinter dem Geschehen fragen. Diese Transformation von zufälligen Ereignissen in einen größeren Sinnzusammenhang ist religionstheoretisch betrachtet eine Grundfunktion von Religion. Aus religiöser Deutungsperspektive scheint es naheliegend, die Ursache im direkten Handeln einer Gottheit zu suchen und sie als Prüfung, Strafe oder zumindest Warnung zu verstehen. Welche Handlungsoptionen folgen aus einer solchen Deutung? Welche „Feinde“ werden als „Schuldige“ angeprangert? – Und: welche abwägenden Ratschläge werden an eine spirituell herstellbare Resilienz gegeben?
Der Vortrag unternimmt eine knappe Sichtung aktueller religiöser und spiritueller Deutungsmuster der Corona-Pandemie.
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Wie werden Corona-Medikamente getestet und für die Behandlung als vielversprechend erkannt? Was sind typische Qualitätsmerkmale von klinischen Studien zum neuartigen Corona-Virus SARS-CoV-2? Und wie sind in diesem Zusammenhang Meldungen über COVID-19 Therapien zu beurteilen? Die klinische Entwicklung von Therapien und Impfstoffen steht aktuell vor vielen Herausforderungen. Im Vortrag greift Prof. Tim Friede Nachrichten der letzten Wochen zu Therapien und Impfstoffen von COVID-19 auf und erläutert einige Hintergründe.
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Die Coronaviren des Menschen verursachen normalerweise harmlose Erkältungskrankheiten. In den letzten 20 Jahren wurden jedoch mehrfach neue Coronaviren von Tieren auf den Menschen übertragen, die in infizierten Personen eine schwere Erkrankung auslösen. Dazu zählt das neue Coronavirus, SARS-CoV-2, das für die COVID-19-Pandemie verantwortlich ist. Prof. Pöhlmann skizziert im Vortrag, wie SARS-CoV-2 auf den Menschen übergesprungen sein könnte und warum sich das Virus rasch weltweit ausbreitet. Anschließend wird erklärt, wie sich SARS-CoV-2 vermehrt und wie die Vermehrung durch Medikamente unterbrochen werden kann. Schließlich wird ein mögliches Medikament vorgestellt, das in Göttingen identifiziert wurde, den Einritt des  Virus in Zellen blockiert und gegenwärtig in klinischen Studien getestet wird.
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Informationen zur Ringvorlesung finden Sie auch auf der Webseite der Universität.