Das Ende der Welt, wie wir sie kennen?

Die Corona-Krise betrifft uns alle unmittelbar. Ist unser Kampf gegen das exponentielle Wachstum der Infektionen aber ein Weltuntergang, wie es manche Akteur*innen heraufbeschwören? Der Göttinger Soziologe und Religionswissenschaftler Prof. Dr. Alexander-Kenneth Nagel befasst sich seit rund 15 Jahren immer wieder mit Fragen der Apokalyptik und liefert mit diesem Buch ein Modell der angewandten Endzeitforschung in modernen Gesellschaften.

Sein Modell setzt auf die Analyse der Bedeutung apokalyptischer Zeichen (Semantik), ihrer Beziehung zueinander (Syntaktik) und der Kommunikationssituation (Pragmatik). Mit einem wissenssoziologischen Ansatz beschäftigt er sich in dem Buch mit aktuellen Krisen-Diagnosen – zur Corona-Pandemie einschließlich der QAnon-Verschwörungsideologie, zur ökologischen Krise und zur Krise des Nationalismus. Auch der Prepper*innen-Szene in Deutschland und der „apokalyptischen Grundierung“ dieses Lebensstils widmet er ein ausführliches Kapitel.

Zu Beginn des Buches unterscheidet Nagel die biblische Apokalyptik von dem modernen Verständnis des Weltuntergangs: Erstere zeichnet sich durch die prophetische Ankündigung des baldigen Weltuntergangs aus, auf den das Reich Gottes folgt. In der modernen Alltagssprache hingegen ist die Apokalypse die Katastrophe selbst: das Ende der Welt, wie wir sie kennen. Nagels These lautet, dass „in modernen Gesellschaften ein eigenständiges Genre apokalyptischer Krisenhermeneutik wirksam ist, das (…) strukturell in der Tradition der biblischen Apokalyptik steht.“ Ihre Kennzeichen sind: die Vorstellung einer weltweiten Katastrophe, ein ausgeprägter Gestus der Offenbarung, die Vorstellung, an einem historischen Wendepunkt zu sein, und eine akute Naherfahrung.

Um herauszufinden, welche apokalyptischen Deutungsmuster in der aktuellen Corona-Krise existieren, analysiert Nagel im vierten Kapitel Krisen-Debatten im Feuilleton, offizielle Erklärungen zwischen Trost und Ermahnung, die Kommunikation in den Sozialen Medien zwischen Dokumentation und Kommentierung und verschwörungsideologische Verarbeitungen zwischen Enthüllung und Erlösung. Nagel nennt sein Vorgehen „einzelne Tiefenbohrungen“, um die Kontinuität und den Wandel apokalyptischer Bilder, Stilelemente und Rhetoriken zu untersuchen.

Seine Tiefenbohrungen in den auch thematisch unterschiedlichen Krisen-Diagnosen führt Nagel im letzten Kapitel zusammen. Hier verdeutlicht er Gemeinsamkeiten und Unterschiede der apokalyptischen Stoßrichtungen der sehr heterogenen Akteur*innen und Krisenszenarien.

Alexander-Kenneth Nagel: Corona und andere Weltuntergänge – Apokalyptische Krisenhermeneutik in der modernen Gesellschaft, Transcript Verlag 2021, 212 Seiten, ISBN: 978-3-8376-5595-7, 30 Euro, https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5595-7/corona-und-andere-weltuntergaenge/

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