Welche Gedanken helfen bei Angst vor dem Tod?

Sokrates im Gespräch mit seinem Daimonion. Linke Nebenseite des Musensarkophags, entstanden um 160 n. Chr., gefunden in einer Grabkammer bei Rom. Heute im Louvre, Paris. Foto: Museum /SAPERE

SAPERE holt philosophische Texte zu ewig menschlichen Themen aus der Vergessenheit

Was hat die römische Kaiserzeit zwischen dem ersten und dem vierten Jahrhundert n. Chr. Mit uns zu tun? Wenn man Dr. Simone Seibert hört, die beim Forschungsprojekt SAPERE der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen mitarbeitet, eine ganze Menge. Damals wie heute wurden die Menschen von Krisen geschüttelt und suchten nach Antworten, wovon philosophische Schriften zeugen, die noch bis zur frühen Neuzeit zum Bildungsgut gehörten, danach aber in Vergessenheit geraten sind. Diese Schriften lassen eine Zeit aufleben, in der sich die Menschen nicht mehr mit den religiösen Vorstellungen ihrer Vorväter begnügten, sondern sich auf vielfältige Weise neu zu orientieren versuchten. Das Projekt SAPERE, das seit 2009 über das von Bund und Land finanzierte Akademienprogramm gefördert wird, sorgt dafür, dass nicht nur die Forschung, sondern alle Interessierten wieder Zugang zu diesen Texten bekommen. Die Themen reichen von Glück, über Freiheit, Aufbruch, Arbeit, Armut und Menschenwürde, bis zu Liebe und Tod.

Wie kann man einem Menschen die Angst vor dem Sterben nehmen? Mit beispielsweise dieser Frage hat sich vermutlich im ersten Jahrhundert v. Chr. ein anonymer Autor befasst und einen fiktiven Dialog geschrieben, in dem Sokrates einem alten Mann Mut zuspricht. Der alte Mann, ansonsten eine gestandene Persönlichkeit, ist krank und hat Angst vor dem Tod. „Der hier geschilderte Sokrates versucht es zunächst mit der epikureischen Lehre und argumentiert, dass wir es doch nicht merken, wenn wir tot sind, und daher könne uns der Tod auch nichts anhaben“, sagt Seibert. Da der alte Mann damit aber nicht getröstet werden konnte, habe Sokrates einen neuen Versuch gestartet und dabei, wie er sagt, aus einem Mythos der Hyperboreer geschöpft, demzufolge sich die Erde zwischen Himmel und Hades befindet und ein Totengericht darüber entscheidet, wer wohin kommt. „Das ist eine Todesvorstellung, die frappierend derjenigen im späteren Christentum ähnelt: Die Guten kommen in den Himmel, die Bösen in die Hölle“, erläutert Seibert. Gerade dieser Text über den Tod zeige, wie auch die Philosophie die Religion mitgeprägt habe. Abgesehen davon war in diesem Text der zweite Trostversuch dann so erfolgreich, dass der alte Mann schließlich sogar gern sterben wollte.

38 Themen dieser Art hat das Forschungsprojekt SAPERE seit seiner Gründung – von 2001-2009 wurde es zeitweise von der Thyssen Stiftung gefördert – behandelt. In den Bänden wird der jeweilige Originaltext aus dem Altgriechischen, Lateinischen oder auch Hebräischen, Altsyrischen und Arabischen ins Deutsche oder Englische übersetzt, der Leser erfährt etwas über den Autor und die Werkgeschichte, und es gibt noch eine Besonderheit darüber hinaus: Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichen Disziplinen wie der Geschichte, Archäologie, Theologie und Philosophie erklären den Text aus der Sicht ihres Faches. Die Bände werden zwei Jahre nach ihrem Erscheinen in die digitale Bibliothek der Göttinger Akademie „res doctae“ eingestellt und können dann dort von allen Interessierten unentgeltlich heruntergeladen werden.

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