Von „Basteltanten“ und den Held*innen des Alltags

Abbildung: Pixabay/Maxime Fro (Montage)

„Verkannte Leistungsträger:innen“ ist der Titel eines Buches, das Prof. Dr. Nicole Mayer-Ahuja mit herausgegeben hat. Die Göttinger Professorin für die Soziologie von Arbeit, Unternehmen und Wirtschaft spricht hier über Leistung und öffentliche Aufmerksamkeit für Arbeitsbedingungen.

Frau Mayer-Ahuja, was ist Leistung in unserer Arbeitswelt?

Da gibt es ganz unterschiedliche Kriterien. Seit der Pandemie spielt plötzlich die gesellschaftliche Nützlichkeit von Arbeit eine große Rolle. Noch in der letzten großen Krise, ab 2008, waren die Leistungsträger*innen hingegen diejenigen, die in Banken, in großen Wirtschaftsunternehmen, bei Beratungsfirmen, im Finanzsektor insgesamt tätig sind. Hier gibt es einen Umschwung. Jetzt tun nämlich diejenigen, die den Laden am Laufen halten, anderes: sich um die Reproduktion von Arbeitskraft und von gesellschaftlichen Strukturen zu kümmern, indem sie Kinder erziehen, Kranke pflegen, Lebensmittel bereitstellen, Menschen im Homeoffice mit Paketen beliefern und so weiter. Die Einsicht verbreitet sich: Das Funktionieren des Wirtschaftssystems hat gesellschaftliche Voraussetzungen.

In sozialen Bereichen wird Leistung besonders wenig honoriert – zum Beispiel weil angenommen wird, Frauen brächten ihre Qualifikation als natürliche Begabung mit. In unserem Buch sagt eine Erzieherin, dass sie jahrelang als die Basteltanten bezeichnet worden sind. Das ändert sich gerade, weil man feststellt, da gibt es professionelle Standards, die sind teilweise ganz schön schwierig einzuhalten. Ähnliches gilt für das Gesundheitswesen: Seit der Pandemie ist auch dem oder der Letzten klar, wie wichtig es ist, dass Pflegekräfte gut ausgebildet sind und genug Ressourcen haben, um ihren Job überhaupt machen zu können.

In Ihrem Buch ist zu lesen: Leistung lohnt sich immer weniger. Was meinen Sie damit?

Es gibt sehr viele Menschen, die gute Arbeit machen, viel Aufwand betreiben, ein gutes Ergebnis abliefern, aber ihre Leistung wird im Zweifelsfall überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Und diese Leistung ist immer schwerer zu erbringen, weil viele dieser Beschäftigten unter prekären Bedingungen arbeiten. Es geht dabei aber nicht nur um den Ausbau des Niedriglohnsektors, befristete Jobs oder Leiharbeit, sondern auch um Einschnitte beim Rechtsanspruch auf Teilhabe am Sozialeigentum –zu dem man beiträgt, indem man Steuern oder Versicherungsbeiträge aus dem Verdienst aus Erwerbsarbeit zahlt. Seit der Regierung unter Helmut Kohl, von dem der Slogan „Leistung muss sich wieder lohnen“ ursprünglich kam, und später im Zuge der Hartz-Reformen wurden öffentliche Einrichtungen privatisiert und Leistungen sowie Rechtsansprüche in der Sozialversicherung reduziert. Ganz extrem ist dies im Bereich der Arbeitslosenversicherung: Man landet bei Arbeitslosigkeit nach einer kurzen Übergangsphase auf einem Pauschalbetrag, wobei es überhaupt keinen Unterschied macht, ob man vorher erwerbstätig war und eingezahlt hat oder nicht. Das markiert eine riesige Umbewertung in Bezug auf die Anerkennung der Lebensleistung von Beschäftigten.

In der Corona-Pandemie wurden plötzlich die Held*innen des Alltags beklatscht und bei der Impf-Priorisierung systemrelevante Berufsgruppen benannt. Was sagt das über unser Zusammenleben aus?

Es gab für eine begrenzte Zeit eine symbolische Aufwertung von Beschäftigtengruppen, die sonst eigentlich nicht zur Kenntnis genommen werden. Mit Blick auf die realen Effekte ist das Bild aber ziemlich mau. Es gab Bonuszahlungen und Einkaufsgutscheine für Kassiererinnen, die in den Supermärkten ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt haben. Was es aber nicht gab, waren substanzielle Lohnerhöhungen. Im Gegenteil, es gab massiven Widerstand des Deutschen Handelsverbands gegen eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen. In anderen Bereichen scheint es etwas besser zu laufen. Symbolische Aufwertung heißt ja auch mehr öffentliche Aufmerksamkeit für die konkreten Arbeitsbedingungen. So wurden zum Beispiel in den Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst die unteren Lohngruppen überproportional angehoben. Und im Pflegesektor schaffen es Beschäftigte in Arbeitskämpfen unter dem Slogan „Mehr von uns ist besser für alle“, ihre eigene Arbeits- und Beschäftigungssituation zu verbinden mit dem Interesse von potentiellen Patient*innen an einem funktionierenden Gesundheitswesen. Das ist ein ganz wichtiger Schritt, und hier verändert sich tatsächlich etwas, weil Beschäftigte sich organisieren und mit mehr öffentlicher Unterstützung für ihre Forderungen rechnen können.

Prof. Dr. Nicole Mayer-Ahuja – Foto: kpw-photo/Klaus Peter Wittemann

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