Lehrgrabung auf dem Platz der ehemaligen Synagoge in Weener

Freilegungsarbeiten an den Grundmauern der Synagoge. Im ehemaligen Gebäudeinnern (Blick von Osten) konnten Fahrzeugspuren dokumentiert werden, welche den Abbruch der Synagoge und das Abfahren der Ruinenreste verdeutlichen.

Was der Boden noch erzählen kann, auch wenn längst kein Stein mehr steht, das haben Göttinger Archäologiestudierende jetzt in einer Ausgrabung im ostfriesischen Weener gelernt. In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brannten Nationalsozialisten die dortige Synagoge bis auf die Grundmauern nieder. In kürzester Zeit haben sie dann die Reste der Brandruine abgetragen. Aufzeichnungen über das Gebäude, Hinweise auf Eigentum, ja sogar Fotos wurden ebenfalls vernichtet.

Lange diente der Platz der ehemaligen Synagoge als Parkplatz, nun sollen hier eine Bibliothek und eine Gedenkstätte entstehen. Glück für die Göttinger Studierenden: Vor der ersten Bauphase konnten sie das Areal in einer Lehrgrabung untersuchen und ihre theoretischen Kenntnisse in erste Praxiserfahrungen umsetzen.

Zwei Wochen haben die angehenden Archäolog*innen „im Feld“ gearbeitet und die Gebäudegrundrisse dokumentiert, deren Mauerreste noch gut sichtbar im Boden verblieben waren. Die Ostwand der Synagoge, an der sich ehemals der Thoraschrein befand, war bis weit in die Fundamente abgebrochen. Im Eingangsbereich dagegen konnte die Gruppe sogar noch Umbauphasen erkennen, die vermutlich mit einer Trennung von Männern und Frauen am Eingang in Zusammenhang stehen.

„Die Umbauphase im Eingang könnte mit der orthodoxen Ausrichtung der Gemeinde in Weener in Zusammenhang stehen, bei der es sich um eine der größten jüdischen Gemeinden in Ostfriesland gehandelt hat,“ erklärt Grabungsleiter Dr. Immo Heske vom Seminar für Ur- und Frühgeschichte der Universität Göttingen. Die Frauen nahmen demnach auf der Empore an der Südwand Platz, die über eine hölzerne Treppe zu erreichen war. Den Männern war der Aufenthalt im Erdgeschoss der Synagoge vorbehalten.

Neben den Mauerresten fanden die Studierenden auch Fragmente von gläsernen Lampen und Gefäßen sowie Murmeln, die wohl von Kindern in die Synagoge gebracht wurden und ihnen versehentlich dort wegrollten. Eine fast vollständige, jedoch zerbrochene Bierflasche kann mit der SA in Verbindung gebracht werden, die sich in einer benachbarten Gaststätte am Tag zuvor noch Mut angetrunken hatte und gleichzeitig auf die Bereitstellung des Benzins wartete, das bei einer Tankstelle vorbestellt worden war, so Heske.

Die Funde werden nun in Göttingen gesichtet und sollen später im Neubau der Bibliothek oberhalb des Synagogengrundrisses, für eine Gedenkausstellung genutzt werden. „Die Lehrgrabung erschließt ein neues Feld der Anwendung archäologischer Methoden für die jüngste Geschichte. Sie erfordert zusätzlich einen bewussten Umgang mit den Funden und Relikten“, resümiert Heske. Die Grabung fand in Kooperation mit dem Archäologen Dr. Jan Kegler vom Verband Ostfriesische Landschaft und der Stadt Weener statt.

Gedenktafel in Weener mit dem Grundriss der Synagoge.

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