Philosophinnen sichtbar machen

Das Verbundprojekt „Bildersturm: Frauen in der Philosophie sichtbar machen und neue Vorbilder etablieren“ soll das Bild der Philosophie in der Öffentlichkeit verändern, indem es die Leistungen von Frauen in der Geschichte und Gegenwart der Philosophie bekannter macht. Prof. Dr. Anne Burkard und Katharina Schulz vom Philosophischen Seminar sind daran mit einem Teilprojekt beteiligt. Wir haben sie gebeten, uns mehr darüber zu erzählen.

Frau Burkard und Frau Schulz, wie steht es um die Wahrnehmung von Philosophinnen?  

Viele Menschen haben ein stark männlich geprägtes Bild von der Philosophie und von den Personen, die sie betreiben. Fragen Sie sich gerne selbst: Wie viele Philosophinnen fallen Ihnen aus der Geschichte und Gegenwart ein? Dass mit der Philosophie vor allem (weiße) Männer in Verbindung gebracht werden, gilt nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern in unterschiedlichen Ausprägungen auch für die akademische Philosophie, die universitäre Lehre und den schulischen Unterricht. Dieses Bild wird der vielfältigen Geschichte und Gegenwart der Philosophie nicht gerecht, für die Frauen eine wichtige Rolle gespielt haben und zunehmend spielen. Zudem hat es potenziell ausschließende Effekte, wenn weiblich sozialisierten Personen suggeriert wird, die Philosophie sei nichts für sie.

In Ihrem Teilprojekt „Denkerinnen, die Schule machen“ haben Sie mit Beteiligten aus der Schulpraxis, Fachdidaktik und Fachphilosophie Unterrichtsbausteine für den Philosophie- und Ethikunterricht entwickelt. Wie sind Sie vorgegangen und was bieten Sie an?

Wir legen in unserem Teilprojekt den Fokus darauf, wie (wenig) Philosophinnen im Philosophie- und Ethikunterricht vorkommen und wie sich ihre Beiträge wirkungsvoll in Lehr-Lern-Materialien integrieren lassen. Zum einen führen wir eine bislang ausstehende systematische Bestandsaufnahme zur Repräsentation von Philosophinnen in deutschen Curricula und Lehrwerken für die Fächer durch.

Zum anderen entwickeln wir Materialien, die Lehrkräfte bei ihrer Unterrichtsgestaltung inspirieren können. Die Unterrichtsbausteine sind modular aufgebaut und lassen sich auch in kürzeren Auszügen einsetzen. Sie bestehen jeweils aus inhaltlichen Einführungen, philosophischen Textauszügen und dazu passenden Aufgabenstellungen sowie methodisch-didaktischen Erläuterungen für die Lehrkräfte. Bisher haben wir im „Bildersturm“-Projekt Unterrichtsbausteine zum Thema „Verantwortung für strukturelle Ungerechtigkeit“ entwickelt, weitere Themen folgen. Sie werden über die Plattform Philovernetzt frei zugänglich zur Verfügung gestellt. Es ist uns ein Anliegen, eng mit Vertreter*innen verschiedener Institutionen und Fachrichtungen zusammenzuarbeiten. Bei der Entwicklung dieser Bausteine brachten Lehrkräfte, Fachdidaktiker*innen und Philosoph*innen unterschiedliche Expertisen zum Gegenstand und zur Unterrichtsgestaltung ein.

Darüber hinaus entstehen in unserem Teilprojekt theoretische didaktische Arbeiten, zum Beispiel Überlegungen zur Lehrkräftebildung mit Blick auf die Reflexion und Kritik des Philosophiekanons, also der für den Unterricht ausgewählten Texte.

Wir erhoffen uns, zur Diversifizierung des schulischen Philosophiekanons beizutragen, so dass der Unterricht für breitere Gruppen von Schüler*innen noch einladender wird. Vergleichbare Erfordernisse sehen wir auch in Bezug auf andere Differenzkategorien: Die Textauswahl für den Philosophie- und Ethikunterricht ist nicht nur männlich, sondern auch überwiegend westlich geprägt. Das vermittelte Bild von Philosophie ist auch in dieser Hinsicht einseitig, viele philosophische Traditionen kommen gar nicht in den Blick.

Mit den bisher entwickelten Bausteinen können Lehrkräfte Überlegungen von Philosophinnen zu struktureller Ungerechtigkeit und Verantwortung in den Unterricht einbringen. Welche Wirkungen wollen Sie erreichen?

Wir möchten mit den Bausteinen Wirkungen auf drei Ebenen erzielen:

Erstens werden Philosophinnen sichtbar, die bislang im Unterricht in aller Regel nicht vorkommen. Die US-amerikanische Philosophin Iris Marion Young, von der die meisten Textauszüge stammen, war etwa prägend für die Debatte um Verantwortung für die Beseitigung struktureller Ungerechtigkeit. In der zeitgenössischen akademischen Philosophie ist sie recht bekannt. Weitere Textauszüge stammen von Robin Zheng, Audre Lord, Tamara Jugov und Lea Ypi. Die Sichtbarkeit dieser Philosophinnen vermittelt den Schüler*innen implizit, dass es durchaus weiblich gelesene Personen gibt, die zu relevanten und viel diskutierten philosophischen Themen forschen und schreiben. Und es werden neue potenzielle Vorbilder für das philosophische Nachdenken präsentiert.

Zweitens richten wir mit der Thematisierung struktureller Ungerechtigkeit den Blick auf Fragestellungen und Themenbereiche, die viele Lernende wohl für ihr eigenes Leben oder auf gesellschaftlicher Ebene als relevant empfinden, etwa auf strukturellen Rassismus, Bildungsungerechtigkeit, Armut oder die Auswirkungen des Klimawandels. Durch die Bearbeitung der Bausteine wird den Lernenden ein Analysezugang zu diesen komplexen Themen eröffnet.

Das Sichtbarmachen der Philosophinnen kann drittens dazu beitragen, das Bild von der Philosophie und von Philosoph*innen zu verändern. Wie bereits angesprochen, sind Philosoph*innen in einer weitverbreiteten Vorstellung männlich und weiß. Für Lernende, die sich als weiblich und/oder als People of Color identifizieren, fallen diese Vorstellung und ihr Selbstbild auseinander. Das kann den Zugang zum Fach und zum Philosophieren erschweren. Zwar werden sich die etablierten Vorstellungen kaum durch eine einzelne diverser gestaltete Unterrichtsreihe verändern. Es entstehen jedoch – im Rahmen des Projekts und an vielen anderen Stellen – immer mehr Unterrichtsmaterialien zu unterrepräsentierten Autor*innengruppen, sodass Lehrkräfte auf ein zunehmend breites Angebot zurückgreifen können.


Mehr Informationen zum Teilprojekt und zu den Unterrichtsmaterialien sind hier zu finden: https://www.innovative-frauen-im-fokus.de/news/bausteine-fuer-den-philosophie-und-ethikunterricht/

Das Verbundprojekt läuft noch bis April 2025. Beteiligt sind neben der Universität Göttingen die Humboldt-Universität zu Berlin, die Universität Bielefeld, die Universität Kiel, die Technische Universität Dresden, die Universität Bochum und die Universität Koblenz. Mehr Informationen: https://www.innovative-frauen-im-fokus.de/projekte/bildersturm/

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