Vorlesungen als „geistige Speise“

Auditorium mit Hörsaal, hier 2016 - Foto: Michael Mehle

Heute vor 80 Jahren nahm die Universität Göttingen mit knapp 4.300 Studierenden ihren Vorlesungsbetrieb an allen Fakultäten wieder auf. Damit sind wir die erste deutsche Universität, die nach dem Zweiten Weltkrieg „mit vollem Programm“ wiedereröffnet wurde.

In Zeiten des Mangels begannen die Vorlesungen bereits am 17. September 1945 und damit frühzeitig vor Wintereinbruch. Erklärtes Ziel war es, eine „Universität als Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden“ wiederzufinden, in der geistige Freiheit und neue wissenschaftliche Weltoffenheit erlebt werden kann, die Orientierung und Lebensperspektive gibt.

Der damalige Physik-Student Walter Kertz erinnerte sich 40 Jahre später an Vorlesungen und Diskussionen, ein Studium Generale, aber auch an Stromsperren und Hunger. „Die äußeren Schwierigkeiten empfanden wir in keiner Weise als das Bemerkenswerteste dieses Semesters. Die geistige Speise, die uns die Alma Mater reichte, war uns viel wichtiger.“

Seine tiefe Dankbarkeit für das Studentenleben unmittelbar nach dem Ende des Nationalsozialismus äußerte Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker (1920 bis 2015) in einem Interview mit uni|inform. „Die Göttinger Universität hat damals einer ganzen Generation in einer vorbildlichen Form auf die Beine geholfen.“

Die damalige britische Militärregierung setzte darauf, dass Universitäten als demokratische Organisationen einen aktiven Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft leisten. Politische Äußerungen waren jedoch in den Vorlesungen untersagt. Als Plattform für (hochschul)politische Debatten gründeten Studierende und Lehrende die Göttinger Universitätszeitung, die erstmals im Dezember 1945 erschien.

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