Der Karzer

Quelle: Klein und Neumann

Im 18. Jahrhundert sollten Studierende gemäß der Universitätsordnung keusch und nüchtern sein, Duelle verabscheuen, sowie Laternen und Bäume schonen – andernfalls drohte ihnen die Karzerhaft.

Bei einem Karzer handelt es sich um Arrestzellen innerhalb der Universität, wo Studierende für Verstöße gegen die Universitätsordnung bestraft wurden: Kleinere Straftaten oder auch groben Unfug konnten der Rektor und der Universitätsrichter mit bis zu drei Tagen Karzerhaft oder einer kleineren Geldstrafe ahnden. Bei schwerwiegenden Delikten konnte Karzerhaft bis zu zwei Wochen, Nichtanrechnung des Semesters, bis hin zum generellen Ausschluss vom Studium beschlossen werden.

Rechtlich war dies durch die akademische Gerichtbarkeit ermöglicht, ein damaliges Privileg der Universitäten, ihre Studierenden bei Fehlverhalten zu verurteilen und zu bestrafen.

Schon Otto von Bismarck, einer der berühmtesten Göttinger Studierenden, büßte seine „Universitätssünden“ im Karzer. Im Sommersemester 1832 begann er in Göttingen mit dem Studium der Rechte. Das erste Mal kam er mit dem Universitätsrichter in Berührung, weil er eine leere Flasche aus dem Fenster geworfen hatte. Im Ganzen stand er neun Mal in Göttingen vor dem Universitätsrichter, meist wegen Beteiligung an verbotenen Duellen und wegen Rauchens auf der Straße. Er saß seine Strafen, insgesamt 18 Tage, im mittlerweile abgerissenen Konzilienhaus ab. Die noch heute zu besichtigenden Karzerzimmer entstanden erst 1835 mit dem Bau des Aulagebäudes am Wilhelmsplatz.

Neben den vielen Bußstrafen erfüllte der Karzer im August 1914 sogar einen humanitären Zweck: Der Kanadier Winthrop P. Bell, damaliger Doktorand an der Uni Göttingen, wurde vom Kriegsausbruch überrascht und als nun „feindlicher Ausländer“ verhaftet. Damit er nicht in das Göttinger Polizeigefängnis musste bot ihm die Universität Karzerhaft an. Nach einigen Wochen wurde er in ein Internierungslager nahe Berlin gebracht, von wo er später ausreisen durfte.

Im Laufe der Zeit wurde die Karzerhaft nicht mehr als schlimme Strafe empfunden. Die Haftbedingungen waren liberaler geworden, die Inhaftierten konnten sich ihr Essen aus der Stadt kommen lassen. Die Studierenden verewigten ihre Namen an den Karzerwänden, dazu kamen Gemälde, Gedichte und Schmähtexte. In den letzten Jahren seines Bestehens gehörte es für viele Studierende fast zum „guten Ton“, zumindest für einige Tage im Karzer gewesen zu sein. Im Februar 1933 wurde der Karzer endgültig geschlossen.

In den rund 200 Jahren, die der Göttinger Karzer in Benutzung war (1735 – 1933), wurden insgesamt über 34.500 Karzertage verhängt.

Dank vieler Spenden wurden die Räumlichkeiten mit ihren historischen Wandzeichnungen im Jahr 2007 umfangreich restauriert. Seitdem zählt der Göttinger Karzer zu den am besten erhaltenen Universitätsgefängnissen Deutschlands.

Weitere Informationen zum Karzer gibt es unter www.karzer.uni-goettingen.de

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