In Göttingen gibt es einen kleinen Schatz, von dem kaum einer weiß. „In Hannovers Archiven hat man ihn wie verrückt gesucht, jeden Stein hat man umgerdreht, und sogar in St. Petersburg wurden Nachforschungen angestellt“, berichtet Karin Reich, Professorin für Geschichte der Naturwissenschaften und Mitglied der Niedersächsische Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. In der wenig bekannten kleinen Sondersammlung der Staats- und Universitätsbibliothek (SUB) Göttingen fand Dr. Albert Krayer, ein ehemaliger Mitarbeiter der Akademie, im Oktober 2022 den Leibniz’schen Magnetglobus.
Der Name täuscht, denn magnetisch ist der 199 Gramm leichte Globus aus Papiermaché nicht. „Er bildet einen Teil des Magnetfeldes der Erdoberfläche ab“, erklärt die Wissenschaftshistorikerin Reich und schwärmt: „Leibniz hat den ersten Globus mit Deklinationslinien geschaffen“. Diese „Deklinationen“, auch „Isogonen“ genannt, wurden von Edmond Halley (1656 – 1742) erfunden. Der englische Mathematiker und Astronom, dessen Name uns noch über den nach ihm benannten Halleyschen Kometen geläufig ist, wollte damit die Seefahrt sicherer machen. Er bereiste als Kommandant eines Kriegsschiffs den Süd- und Nordatlantik, um die Richtung der Magnetnadel an verschiedenen Punkten der Erdoberfläche zu bestimmen. Als Ergebnis dieser Reisen konnte er 1701 die erste größere Karte der magnetischen Deklination veröffentlichen, die Tabula Hydrographica, ein Jahr später die Tabula Nautica.
„Auf dieser Grundlage hat Gottfried Wilhelm Leibniz 1712 den Globus entweder selbst gebastelt oder zumindest entworfen und damit das erste Modell dieser Art geschaffen“, sagt Reich. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts habe die schwedische Firma Akerman und Akrel einige Globen mit Deklinationslinien hergestellt. „Der wiedergefundene Magnetglobus von Leibniz ist ein Unikat.“ Ihrer Ansicht nach ist er so besonders, dass er ausgestellt werden müsste. Dabei war der Globus aus Papiermaché nach ihren Erkenntnissen nur ein Vorexemplar. Das endgültige, wahrscheinlich aus Gips zu erstellende Exemplar, zu dem es aber nicht mehr gekommen sei, sollte ein Geschenk für Peter den Großen werden.
Der lange verschollene Globus wurde in der Vergangenheit mehrfach von namhaften Forschern beschrieben. Alexander von Humboldt sprach davon, dass er in den Hannoverschen Archiven aufbewahrt werde und Georg Christoph Lichtenberg hielt am 14. August 1772 in seinem Tagebuch fest, dass sich der Globus in einem Exzerptenschrank der Hofbibliothek in Hannover befinde. Nichts wies darauf hin, dass sich das kostbare Stück nach Göttingen verirrt haben könnte. Wie der Globus 1986 in den Bestand der SUB gekommen ist, ist ein Rätsel und bis 2022 wusste zudem niemand, dass Leibniz der Schöpfer war. „Das lag auch daran, dass man in einer Notiz nur lesen konnte ‚Globus / Anfang des / XVIII. Seculi‘, da das über dem Wort Globus befindliche Wort ‚Magnetischer‘ nur sehr schwer zu entziffern ist“, wie Reich erklärt. Noch schlummert der außergewöhnliche Fund wohlbehütet in der SUB. Doch ein Mitarbeiter der Bibliothek, Martin Liebetruth, hat ihn digitalisiert, sodass er nun öffentlich von allen betrachtet werden kann.