Mathematik des Experiments

Abbildung: SFB 1456

Experimentelle Messungen in den Naturwissenschaften produzieren heutzutage effizient eine große Menge an Daten. Allerdings liefern die modernen Technologien die Informationen oft nur indirekt, auch sind die Daten häufig stark verrauscht. „Die wesentliche Herausforderung besteht heute oft darin, aus diesen Daten aussagekräftige Informationen zu gewinnen“, sagt Prof. Dr. Thorsten Hohage vom Institut für Numerische und Angewandte Mathematik. Er ist Sprecher des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1456 an der Universität Göttingen.

Hier tauschen sich seit diesem Jahr experimentell Forschende und Mathematiker*innen über Fragen aus, die sich thematisch von der molekularen Ebene bis hin zur Astronomie spannen. Das Vorgehen folgt einem einheitlichen Prinzip: Dort, wo direkte Messungen nicht möglich und Informationen unvollständig sind, werden auf der Basis von mathematischer Modellierung und Analysis Schlussfolgerungen aus den Daten gezogen.

Zum Beispiel in der Helioseismologie, die sich mit den Schwingungen der Sonnenoberfläche befasst. „Uns stehen lückenlose, hochaufgelöste Messungen solcher Oszillationen aus über 20 Jahren zur Verfügung“, berichtet Hohage aus diesem SFB-Projekt. „Wir wollen daraus physikalische Größen im Inneren der Sonne, insbesondere Strömungsgeschwindigkeiten der Gase, rekonstruieren. Unser Ziel ist es, den elfjährigen Sonnenaktivitätszyklus besser zu verstehen und zu einer verlässlichen Vorhersage des Weltraumwetters beizutragen.“

In einem weiteren Projekt, das Informatik und Biomedizin verbindet, geht es um die Funktion hemmender Neurone in der Netzhaut. Diese Nervenzellen spielen eine wichtige Rolle für den Sehprozess, ihre Eigenschaften können aber nur indirekt bestimmt werden. Die Projektgruppe wird deshalb Messungen der Ausgabezellen der Netzhaut mit Modellen neuronaler Netze kombinieren.

Die geometrische Struktur und Dynamik im Protein-Skelett biologischer Zellen stehen im Mittelpunkt eines dritten Projekts. Forschende aus Biophysik und Statistik wollen gemeinsam herausfinden, wie sich das Zusammenspiel zweier Bausteine mit sehr unterschiedlichen mechanischen Eigenschaften auf die Zellmechanik, die Dynamik und schließlich auf die Funktion von Zellen auswirkt.

Dem SFB 1456 „Mathematik des Experiments: Die Herausforderung indirekter Messungen in den Naturwissenschaften“ gehören insgesamt 27 Forschende an, die an der Universität Göttingen in den Fakultäten für Mathematik und Informatik, für Physik, für Chemie und der Universitätsmedizin arbeiten sowie an den Max-Planck-Instituten für biophysikalische Chemie und für Sonnensystemforschung in Göttingen. Darüber hinaus ist eine Arbeitsgruppe der Universität Jena beteiligt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert den SFB über einen Zeitraum von vier Jahren mit insgesamt rund neun Millionen Euro.

Der SFB stellt sich hier mit seinen 16 wissenschaftlichen Projekten vor: www.uni-goettingen.de/de/628179.html

SFB-Sprecher Prof. Dr. Thorsten Hohage – Foto: PS-ART

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