Masken, Kostüme, Schmuck – von der Ethnologischen Sammlung der Universität Göttingen ist im Moment wenig zu sehen. Sie ist seit 2018 geschlossen. Das Gebäude wird saniert und soll im Jahr 2024 mit einer neu gestalteten Ausstellung wiedereröffnet werden. Wir haben den Kustos Dr. Michael Kraus gefragt, was in dieser Zeit eigentlich in seiner Sammlung passiert.
Herr Kraus, Ihre Sammlung besitzt rund 18.000 Objekte aus allen Kontinenten. Darunter sind viele Berühmtheiten, die nicht nur den Göttinger*innen vertraut sind. Was geschieht im Moment mit diesen Dingen?
Die Sammlung ist vollständig verpackt. Das war sehr aufwendig, da die Objekte oft sehr alt, wertvoll und fragil sind. Wir mussten sehr vorsichtig sein, das richtige Material verwenden, konservatorisch geeignete Lager finden – das war kein normaler Umzug. Die Objekte sind nun an verschiedenen Standorten und nur eingeschränkt zugänglich; sie werden aber nach wie vor in Forschungsprojekten bearbeitet oder für die neue Dauerausstellung vorbereitet. Darüber hinaus fotografieren und digitalisieren wir sie. Alle Exponate sollen ja auch im Netz zugänglich sein. Viele können Sie schon auf dem Sammlungsportal der Universität Göttingen finden, aber auch im PAESE-Verbundprojekt, einem niedersächsischen Projekt zur Provenienzforschung, an dem wir uns beteiligen.
Dabei geht es vor allem um den Umgang mit Objekten aus kolonialen Kontexten – ein Thema, das viel diskutiert wird. Was heißt das für Sie?
Wir recherchieren sehr genau, wie die Objekte in unsere Sammlung gelangt sind. Der Aufwand ist jedoch enorm: Unsere Bestände sind sehr heterogen und oft ist ihre Herkunft nur unzureichend dokumentiert. Aufgrund vorliegender Listen können wir sagen, dass zwischen 1884 und 1918 mindestens 450 Objekte aus den deutschen Kolonialgebieten in unsere Sammlung gelangten. Aber wir dürfen uns von dieser Zahl nicht täuschen lassen. Auch später kamen noch sehr viele Objekte dazu, deren Herkunft ursprünglich auf die Kolonialzeit zurückgeht. Der Gesamtanteil liegt also deutlich höher.
Ein wichtiger Bestand ist dabei aus dem pazifischen Raum, vor allem dem heutigen Papua-Neuguinea. Die Historikerin Sara Müller analysiert im Rahmen des PAESE-Projekts zum Beispiel die Netzwerke und Handelsbeziehungen, um herauszufinden, wie die Objekte aus den Südseekolonien damals in Besitz der Europäer gelangten. Ndzodo Awono, ein Wissenschaftler aus Kamerun, untersucht wiederum die Herkunft von Gegenständen aus den ehemaligen deutschen Kolonien in West- und Zentralafrika.
Ein anderer Fall sind die „Tjurunga“. Darunter werden Objekte aus Holz oder Stein verstanden, die in Australien eine besondere Bedeutung besitzen. Sie stehen mit der mythischen Traumzeit in Verbindung und können indigenen Experten beispielsweise Auskunft über Landrechte geben. Hierzu haben wir beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste Mittel eingeworben mit dem Ziel, den Bestand genauer zu untersuchen und den Austausch mit den Vertretern in den Herkunftsgesellschaften vorzubereiten. An die Maori in Neuseeland haben wir bereits zwei Schädel (toi moko) zurückgeben können – um nur einige Beispiele zu nennen.
Wir nehmen das Thema sehr ernst. Es geht ja nicht nur um unsere Sammlung, sondern auch um die Beziehung zu den Menschen, aus deren Regionen die Dinge stammen und deren Perspektiven wir kennenlernen wollen. Das entspricht unserem Selbstverständnis. Die Sammlung existiert seit dem 18. Jahrhundert; sie war grundlegend dafür, dass sich an der Universität Göttingen in den 1920er-Jahren das Fach Ethnologie etablierte. Dafür erhielt sie 1935/36 sogar ein eigens errichtetes Gebäude am heutigen Theaterplatz.
In diesem wird zukünftig auch die neue Ausstellung zu sehen sein. Können Sie uns schon verraten, was die Besucher*innen erwarten wird?
Wir arbeiten zwar noch am Konzept, aber so viel kann ich sagen: Die Ausstellung wird nicht mehr wie bisher nach Regionen geordnet sein. Der Rundgang orientiert sich vielmehr an verschiedenen Fragen. Sie betreffen unter anderem die kulturelle Diversität, Weltanschauungen, aber auch menschliche Grundkonstanten – Übergangsrituale, Geburt oder Tod. Anhand der Objekte veranschaulichen wir Situationen, die so gut wie alle Gemeinschaften erleben, für die sie aber oft ganz unterschiedliche Lösungen und Praktiken entwerfen. Mit den Wissenschaftler*innen am Institut entwickeln wir hierzu Ideen, und in Seminaren erproben wir Konzepte mit den Student*innen. Daher wird die Ausstellung auch einen Einblick in die aktuelle ethnologische Forschung geben. Besondere Objekte – wie zum Beispiel das Trauergewand, das der britische Kapitän James Cook auf seinen Reisen in die Südsee erwarb – werden ganz sicher einen herausgehobenen Platz einnehmen.
Ethnologische Sammlung
www.uni-goettingen.de/de/sammlung/28899.html
Ethnologische Sammlung auf Sammlungsportal
https://sammlungen.uni-goettingen.de/sammlung/slg_1021/
PAESE
www.postcolonial-provenance-research.com
Deutsches Zentrum Kulturgutverluste
www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Start/Index.html