KI: Neue Verfahren bei der Vermessung des Waldes bedeuten mehr Wissen

Prof. Dr. Dominik Seidel – Foto: Klein und Neumann

Künstliche Intelligenz im Einsatz in der Natur – was zuerst wie ein Gegensatz klingt, ist aktuell eine Innovation in der Waldinventur. Zum Vermessen von Beständen kann die KI Erkenntnisse liefern, die über klassische Untersuchungen hinausgehen, indem der Fokus auf den gesamten Wald geworfen wird. Wie KI bei der Digitalisierung von Wäldern eingesetzt werden kann, darüber forscht Prof. Dr. Dominik Seidel in der Abteilung Räumliche Strukturen und Digitalisierung von Wäldern an der Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie der Universität Göttingen. 

Für eine Inventur analysieren die Waldbesitzenden die vorkommenden Bäume. In Stichproben werden dann beispielsweise die Arten, das Alter oder die Wachstumsverhältnisse der Bäume erfasst. Im Laufe der Zeit können sie so beobachten, wie der Wald sich entwickelt. Mit dieser Datenbasis können die Waldbesitzenden Maßnahmen für die Forstplanung ableiten.

Schon heute werden in Pilotstudien für solche Waldinventuren digitale Methoden und KI eingesetzt: Man läuft zum Beispiel mit dem Laserscanner durch den Wald und digitalisiert innerhalb von 20 bis 30 Minuten einen Hektar Fläche. In der räumlichen Darstellung des Waldes werden die Bäume dann in Punktwolken dargestellt. Bäume lassen sich mittels KI „herausschneiden“, sodass man sich auch den einzelnen Baum genauer ansehen kann. Damit dies möglich wird, muss die KI zuvor mit Trainingsdaten gefüttert werden. Enthalten diese Daten auch Informationen zur Baumart, ist KI im Stande, unterschiedliche Baumarten voneinander zu unterscheiden, zumindest für die wenigen Arten in unseren heimischen Wäldern in Deutschland.

Mittels Laserscanning digital erfasster Wald, der per Software vollautomatisch in Einzelbäume getrennt wird – Abbildungen: Dominik Seidel

Dabei gilt: „Je größer der Trainingsdatensatz, umso besser ist dies für die Entwicklung der KI“, erklärt Seidel. „Die von uns genutzte KI, entwickelt im Rahmen eines studentischen Projektes in Kooperation mit der Professur für Statistik und Ökonometrie von Professor Kneib, hat 86 Prozent der Bäume in Bezug auf ihre Art zutreffend bestimmt. Wenn Verwechselungen aufgetaucht sind, dann war das häufig innerhalb der jeweiligen Gruppe der Nadel- oder Laubbäume.“ Manche Bäume sind allerdings für eine KI eine Herausforderung. So gibt es laut Seidel immer wieder Bäume, die genetisch bedingt oder durch Umwelteinflüsse einfach nicht „typisch“ für ihre Art aussehen.

Er erkennt allerdings noch mehr Potenziale der Digitalisierung von Wäldern, jenseits von KI-gestützten Verfahren. Eines beruht auf der „box-dimension“, die ein Maß dafür ist, wie sich Strukturen im Raum über verschiedene Skalen hinweg verändern. „Mathematisch wird der Wald dabei in eine Kiste gepackt, in die er gerade so hineinpasst. Diese Kiste wird dann in acht kleinere Boxen aufgeteilt und die Boxen, in denen sich nichts befindet, fallen weg. Dieser Vorgang wird immer wieder wiederholt, bis nur noch ganz kleine Boxen übrig sind, und es wird immer geschaut, wie viele Boxen man je nach Größe benötigt. Es entsteht ein Puzzle der Bäume“, sagt Seidel. „Und aus dem Zusammenhang zwischen Anzahl und Boxengröße errechnet man dann die box-dimension.“ Mittels der „box-dimension“ kann man die Menge und Verteilung der Pflanzenmasse im Wald ermitteln und so die strukturelle Komplexität des Waldes sichtbar machen. Sie wird beeinflusst von Faktoren wie dem Alter des Waldes, der Diversität der Pflanzen oder der Intensität der Bewirtschaftung.

Diese Komplexität wiederum beeinflusst die Vielfalt von Tierarten sowie die Resilienz und Adaptionsfähigkeit des Waldes. Bei der Vermessung der strukturellen Komplexität des Waldes spielt auch das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen des Waldes eine Rolle. „Man kann erkennen, dass die Natur hier zu einem Optimum strebt“, so Seidel. „Die maximale Effizienz liegt theoretisch bei einer box-dimension von 2,72 – die erreichen aber eigentlich nur Urwälder. Wir können jedoch versuchen, Wälder so zu bewirtschaften, dass sie sich diesem Wert annähern.“

Ein strukturreicher Wald, der aus vielen unterschiedlichen Baumarten und Bäumen unterschiedlicher Altersgruppen besteht, ist anpassungsfähiger und somit auch überlebensfähiger. Vereinfacht ausgedrückt: „Wenn der Wald ein optimales Verhältnis von Oberfläche zu Volumen hat, dann bedeutet dies, dass er mit wenig Aufwand, also Holz, viel Blattfläche aufspannen kann und ihm so durch Fotosynthese mehr Energie netto zur Verfügung steht, um sich gegen schädliche Einflüsse verteidigen zu können“, führt Seidel aus.

Daten für die „box-dimension“ lassen sich auch durch das 3D-Laserscanning vom Boden, mit einer Drohne oder aus dem Flugzeug sammeln. So kann man große Waldflächen abbilden und eine deutlich größere räumliche Skala darstellen. Mit diesen Verfahren können die Forschenden Aussagen zu Ökosystemfunktionen und -dienstleistungen wie der Biomasse, der Biodiversität oder dem Kohlenstoffspeicher treffen. Letzteres ist gerade in Anbetracht des Klimawandels wichtig, um abschätzen zu können, wie viel Kohlenstoff ein Wald speichert – eine Ökosystemdienstleistung, die sich monetarisieren lässt.

In einigen Ländern können Waldbesitzende mit CO2-Zertifikaten Geld verdienen. Dort gibt es schon erste Anreize für eine Waldwirtschaft, die darauf ausgerichtet ist, dass die Bäume viel Kohlenstoff aus der Luft binden. Dabei sind Wälder, die am meisten Kohlenstoff aufnehmen, am wertvollsten, unabhängig von ihrer Verwertung des Holzes. „Um Objektivität für so eine Bewertung zu schaffen, lohnt sich der Einsatz moderner Methoden“, schließt Seidel.

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