Lernen für eine neue ‚Normalität‘? Perspektiven aus Saalfeld-Rudolstadt

Welchen Einfluss nimmt die Corona-Pandemie auf den Alltag in ländlich geprägten Regionen? In der Reihe „Corona auf dem Land“ hat das Soziologische Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) im thüringischen Landkreis Saalfeld-Rudolstadt nachgefragt und mit Engagierten aus zivilgesellschaftlichen Initiativen, der öffentlichen Verwaltung, der Kirche und der organisierten Sozialverbandsarbeit über ihre Wahrnehmungen der lokalen Situation gesprochen. Lokale Initiativen begegnen der Situation mit Anpassungsbereitschaft, Geschick und Kreativität. Nach der Lockerung von Kontaktbeschränkungen und Abstandsregeln richtet sich der Fokus im Landkreis nun verstärkt auf soziale und wirtschaftliche Folgen der Pandemie.

Während der vergangenen Monate haben ländliche Regionen in der öffentlichen Aufmerksamkeit zunehmend an Wertschätzung gewonnen. In Saalfeld-Rudolstadt ließ sich nach Ausbruch der Pandemie eine temporäre ‚Stadtflucht‘ erkennen, als abgewanderte Familienmitglieder aus den Großstädten anreisten, um die günstigeren Bedingungen in ihren ländlichen Heimatorten wahrzunehmen. Tendenzen, in welchen die lokale Initiative „Zukunftswerkstatt Schwarzatal“ Chancen erkennt, dass die Region zukünftig wieder verstärkt als innerdeutsches Reiseziel angesteuert werde. Ebenso könne die Situation der regionalen Produktion von Lebensmitteln neue Impulse verleihen. In der Folge lassen sich demnach auch positive Tendenzen erkennen, die den lokalen Zusammenhalt stärken könnten. Auf der anderen Seite äußerten die Gesprächspartner*innen ihre Besorgnis über rechtsextreme und antidemokratische Stimmen, die rasch präsent waren und die angespannte Situation für die Verbreitung ihrer Ansichten nutzten. Neben der Unsicherheit über die weitere Dauer der pandemischen Bedrohung belastet die Unklarheit über regionalwirtschaftliche Effekte, die auf die Kommunen erst noch zukommen werden. Auch spätere Negativfolgen der Corona-Krise für die Region und lokale Initiativen schließt man nicht aus.

In Summe ergibt sich ein ambivalentes Bild: Während die einen der Auffassung sind, das kulturell-soziale Leben liege am Boden, beobachten die anderen, dass längst damit begonnen wurde, sich wie in alter Gewohnheit zu treffen. Reges Leben vor allem in den Klein- und Mittelstädten des Landkreises signalisiert, dass sich das Leben mit der „neuen Normalität“ durchsetzt. Gleichzeitig galt es auch im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt neue Strukturen zu schaffen und im Austausch mit Nachbargemeinden, Wirtschaft und Zivilgesellschaft nach Lösungen zu suchen. Die Corona-Krise macht deutlich, dass die Qualität gesellschaftlichen Zusammenlebens durch vielfältige Initiativen an allen möglichen Orten der Gesellschaft bestimmt wird. Diese Rechercheergebnisse und Schlaglichter aus Thüringen zeigen: Der Bestand sozialen Zusammenhalts wird sich vor Ort entscheiden. Konflikte benötigen eine lokale Antwort. Um für die neue ‚Normalität‘ zu lernen, lohnt der Blick in den ländlichen Raum.

Fotos von Helena Reingen-Eifler, SOFI

Das Diskussionspapier „Lernen für die neue ‚Normalität‘?“ steht zum kostenfreien Download auf der SOFI-Webseite zur Verfügung:
http://www.sofi.uni-goettingen.de/fileadmin/Maike_Simmank/SOFI_Papier_Corona_auf_dem_Land_II.pdf

Zum Thema „Corona auf dem Land“ ist im April 2020 bereits ein erster Diskussionsbeitrag erschienen:
Simmank, Maike; Vogel, Berthold (2020): „Städte halten den Atem an, Dörfer atmen tief durch. Corona auf dem Land: Soziologische Momentaufnahmen.“ Diskussionsbeitrag. Göttingen: Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI). Als kostenfreier Download steht der Text hier zur Verfügung: http://www.sofi.uni-goettingen.de/fileadmin/Maike_Simmank/SOFI_Corona_auf_dem_Land.pdf

Autorinnen:
Helena Reingen-Eifler (M.A.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI). Gemeinsam mit Dr. Rüdiger Mautz und Prof. Dr. Berthold Vogel forscht sie im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt „Das Soziale-Orte-Projekt. Neue Infrastrukturen für gesellschaftlichen Zusammenhalt“ im thüringischen Landkreis Saalfeld-Rudolstadt.

Maike Simmank (M.A.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI). In dem Transferprojekt „Gleichwertigkeit – Mehr als eine gute Idee?!“, das inhaltlich eng mit dem Forschungsprojekt zu den Sozialen Orten verbunden ist, beschäftigt sie sich unter der Projektleitung von Prof. Dr. Berthold Vogel mit der Frage nach der Alltagswirklichkeit „gleichwertiger Lebensverhältnisse“ in ländlichen Räumen.

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