„Einfach mal ins Feld stechen“

Foto: Pexel/Donald Tong

#allesdichtmachen – Unter diesem Hashtag haben sich Künstler*innen aus Film und Fernsehen im April 2021 satirisch zu den Corona-Maßnahmen geäußert. Kurz nach der viel diskutierten Aktion haben sich sechs Göttinger Studierende die Frage gestellt: Wie geht es eigentlich den Künstler*innen in unserer Stadt während der Pandemie? Die Psychologie- und Sozialwissenschaftsstudierenden sind dieser Frage in ihrem Forschungsprojekt im Rahmen des Programms „Forschungsorientiertes Lehren und Lernen“ (FoLL) nachgegangen. Was dabei herausgekommen ist? Das können Interessierte am 24. November 2021 erfahren: Dann präsentieren alle FoLL-Teams aus dem Sommersemester dieses Jahres ihre Forschungsergebnisse in Kurzvorträgen und auf Postern. Die Veranstaltung findet ab 18 Uhr in der Alten Mensa, Adam-von-Trott-Saal, Wilhelmsplatz 3, statt. Die Anmeldung zur öffentlichen Präsentation ist ab sofort möglich.

Das Programm FoLL ermöglicht Studierenden seit mittlerweile zehn Jahren, bereits im Bachelorstudium eigene Forschung zu betreiben. Sie können ein Semester lang betreut durch ihre Lehrenden über ein selbst gewähltes Thema forschen und durchlaufen den gesamten Prozess eines Forschungsvorhabens: von der Antragstellung bis zur Präsentation der Ergebnisse. Flankierend zum Forschen in den Fächern bietet die Hochschuldidaktik, die das Programm koordiniert, Beratungen und Workshops für Lehrende und Studierende an.

Besonders das eigenständige und selbstbestimmte Arbeiten begeistert die Teilnehmenden, wie Psychologiestudentin Judith Reich, die in ihrem Team zur Lage der Künstler*innen geforscht hat: „Das Projekt hat es uns ermöglicht, selbst ein Thema zu wählen, das uns interessiert und das sonst wahrscheinlich nicht untersucht worden wäre. Das besondere an FoLL ist, dass wir Studierenden sowohl das Thema als auch das Vorgehen komplett selbst bestimmen. Das ist ein großer Unterschied zu den sonstigen Forschungserfahrungen im Studium vor der Bachelorarbeit, in denen viel angeleitet wird. Man steckt eine andere Art von Arbeit in das FoLL-Projekt und kann sich ohne Druck ausprobieren.“

Für die Teammitglieder stand schnell fest, dass sie sich mit Corona beschäftigen wollen, und da sich alle für Kultur interessieren, konnten sie sich schnell auf ihr Forschungsthema einigen: ‚Kultur in der Krise – Die Auswirkungen der Covid19-Pandemie auf die Arbeit kreativ-tätiger Menschen, Künstler*innen und ihre Netzwerke‘. Genauso wie diese Gruppe können sich an FoLL interessierte Teams mit ihrem Forschungsthema bei der Hochschuldidaktik bewerben. Ein Team besteht dabei in der Regel aus vier bis acht Studierenden (davon können bis zu einem Drittel auch Masterstudierende sein) und ein bis zwei Lehrenden, welche die Studierenden beim Forschen begleiten. FoLL wird in jedem Semester ausgeschrieben und adressiert alle Fakultäten – darüber hinaus können sich die Teams auch interdisziplinär zusammensetzen.

Das Team von Judith Reich besteht aus drei Psychologie- und zwei Sozialwissenschaftsstudierenden sowie einer Lehramtsstudentin – das hat auch das Forschungsvorgehen beeinflusst: „Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Kommiliton*innen aus den Sozialwissenschaften habe ich als Psychologin einen anderen Blickwinkel auf die Forschungsfrage eingenommen – und eine andere Methode gewählt, als es im Psychologiestudium üblich wäre“, erklärt die Studentin.

Das Team hat narrative Interviews mit sechs Göttinger Künstler*innen geführt – eine freie Interviewform, bei der sich der/die Interviewende nach einer Erzählaufforderung stark zurücknimmt. So erfuhren die Forschenden nicht nur von Gefühlen und Strategien, sondern auch von kleinen alltäglichen Dingen – zum Beispiel, zu welchen Büchern die Künstler*innen gegriffen haben. Die Gespräche mit den Schauspieler*innen, Regisseur*innen und Tänzer*innen, das längste dauerte mehr als fünf Stunden, haben die Studierenden transkribiert und analysiert – eine qualitative Herangehensweise, die für Judith Reich eine neue Erfahrung war: „Es war sehr interessant, die Blase ein bisschen zu verlassen, die einem das eigene Studium auferlegt“, erzählt sie. „Weg von der Fokussierung auf Statistik und stattdessen – wie die neugierige Wissenschaftlerin – einfach mal ins Feld stechen, schauen, was passiert. Das hat wirklich Spaß gemacht.“ Unterstützt wurde ihr Team von Prof. Dr. Margarete Boos, Sozialpsychologin an der Universität Göttingen, und Dr. Nicole Witte vom Methodenzentrum Sozialwissenschaften. Sie standen den Studierenden als Ansprechpartnerinnen zur Verfügung und organisierten Workshops zu den gewählten Methoden.

Neben der Arbeit an der gewählten Forschungsfrage spielt auch der fachübergreifende Austausch zwischen den FoLL-Teams bei dem Programm eine große Rolle: In Newslettern und bei Gruppentreffen, während der Pandemie online, tauschen sich alle Teams über ihre Forschungsvorhaben und Projektverläufe aus. In gemeinsamen Workshops, die von der Hochschuldidaktik organisiert werden, erwerben die Studierenden Kompetenzen unter anderem im Teambuilding, Zeitmanagement und dem verständlichen Präsentieren von wissenschaftlichen Ergebnissen.

Judith Reich zieht ein positives Fazit: „Mitgenommen habe ich aus dem Forschungsprojekt vor allem die Erfahrung in der praktischen Anwendung von neuen Methoden. Ich habe das erste Mal narrative Interviews geführt, transkribiert und eine qualitative Inhaltsanalyse durchgeführt. Aber auch die interdisziplinäre Arbeit hat mir ganz neue Blickwinkel eröffnet und lässt mich auch die Forschung meines eigenen Fachbereichs in einem anderen Licht sehen. Ich kann die Teilnahme an FoLL sehr empfehlen – egal, ob man in die Forschung gehen möchte oder nicht.“

Interessierte Teams können sich für FoLL im Sommersemester 2022 noch bis zum 14. März 2022 bewerben. Genauere Informationen zu FoLL gibt es unter www.uni-goettingen.de/forschendeslernen oder telefonisch bei Susanne Wimmelmann unter 0551 39-5981.

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