Sklaverei im Gedächtnis

Das Pikworo Sklavenlager in der Region Upper East, Ghana - Foto: Maria Pohn-Lauggas

Prof. Dr. Maria Pohn-Lauggas ist Professorin für Methodenplurale Sozialforschung an der Universität Göttingen. Gemeinsam mit Prof. Dr. Gabriele Rosenthal vom Methodenzentrum Sozialwissenschaften leitet sie ein Forschungsprojekt, das Sklaverei und Sklavenhandel im individuellen und kollektiven Gedächtnis untersucht. Dafür kooperieren sie mit Universitäten in Ghana und Brasilien.

Frau Pohn-Lauggas und Frau Rosenthal, Sie beforschen das Thema Sklaverei. Wie reagieren Menschen in Ghana und Brasilien, wenn sie mit dem Thema konfrontiert werden?

Die Art und Weise, wie erinnert wird, ist nach Gruppierungen und Regionen in den Ländern unterschiedlich. In Ghana etwa liegt der Fokus des nationalen Gedenkens auf dem transatlantischen Sklavenhandel, in bestimmten Regionen ist jedoch auch – für Europäer*innen vermutlich eher erstaunlich – der innerafrikanische Sklavenhandel ebenfalls ein wichtiger (umstrittener) Teil des kollektiven Gedächtnisses. In Brasilien wiederum ist die Sklaverei im öffentlichen Gedenken eher marginalisiert, doch in manchen Regionen beziehen sich die Menschen mit kollektivem Stolz auf ihr „afrikanisches Erbe“ oder auf die historischen lokalen Aufstände versklavter Menschen. Uns interessiert gerade der Vergleich einzelner Communities mitsamt der in ihnen etablierten kollektiven Gedächtnisse und deren ‚vergessenen’ Anteile.

Auf welche Weise werden Sie den Einfluss der Sklaverei in den beiden Ländern untersuchen? 

Wir untersuchen, inwiefern die gegenwärtigen öffentlichen Diskurse und Alltagsdiskurse spezifischer Gruppierungen bestimmen, was von der Vergangenheit erinnert wird, was hingegen verschwiegen oder gar geleugnet wird. Dabei interessiert uns auch, inwiefern die vorherrschenden sozialen Ungleichheiten in der Gegenwart durch eben diese Vergangenheit der Versklavung von Menschen, also sowohl der Entführung und Versklavung von Menschen, des Handels mit versklavten Menschen als auch der Misshandlung von Menschen durch Sklavenarbeit, mitbestimmt ist. Um dies zu untersuchen, planen wir – wenn möglich mit mehreren Generationen in einer Familie – familien- und lebensgeschichtliche Interviews, Gruppendiskussionen sowie thematisch fokussierte und ethnographische Interviews an den nationalen und regionalen Erinnerungsorten mit den Besucher*innen und den Vermittler*innen der Überlieferung.

Welche Bedeutung hat es, dass Sie mit Ihrer Kollegin als zwei Professorinnen aus Deutschland dieses Thema im Ausland – quasi von der Außenansicht – beforschen?

Wir kooperieren eng mit unseren Kollegen Prof. Dr. Steve Tonah in Ghana und Prof. Dr. Hermílio Santos in Brasilien, die mit ihren Mitarbeiter*innen auch an ihren Universitäten diese Forschungsarbeiten mittragen. Die Frage nach der Außen- und Innenansicht stellt sich letztendlich für uns alle, die wir in diesem Projekt arbeiten. Die Außenansicht wird nicht nur durch die unterschiedlichen historisch-kolonialen Kontexte bzw. Regionen bestimmt, sondern auch durch die (sozio-)kulturellen, nationalen, ethnischen und religiösen Zugehörigkeiten der im Projekt Mitwirkenden. Wir sehen die Innen- und Außenperspektive als sich ergänzend, in dem Sinne, dass man bestimmte Phänomene sieht und rasch versteht oder aber übersieht, je nachdem, in welcher Gruppierung von Menschen man sozialisiert wurde. Jene mit einer Außensicht haben eine andere Perspektive als jene mit einer Innenperspektive. Sie übersehen einiges und anderes wiederum hinterfragen sie, wie zum Beispiel Selbstverständlichkeiten der Innenperspektive, und stellen andere Fragen, die wichtig für das Verstehen im Forschungsprozess sind. Unser Austausch ist aus diesem Grund zentral für unsere Forschung. Mit dieser Antwort stimmen wir völlig mit der Ansicht unserer beiden Kollegen in Ghana und Brasilien überein.

In Porto Alegre, Brasilien: Prof. Hermílio Santos mit Ialorixá Mãe Lu de Xapanã, einer Priesterin der Batuque, einer afro-brasilianischen Religion mit Ursprung aus der Zeit der Sklaverei.

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