Impfmotivation und ihre Bestimmungsfaktoren

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Lange Warteschlangen bildeten sich Ende 2021 jeweils freitags auf dem Wilhelmsplatz und im Zentralen Hörsaalgebäude. Der Grund: Mobile Impfteams der Stadt waren in den Räumen der Universität Göttingen zu Gast. Studierende, Uni-Beschäftigte und Bürger*innen der Stadt standen geduldig an; sie einte der feste Wille, sich gegen Sars-CoV-2 impfen zu lassen. Ein Forschungsteam der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät hat diese Chance vor Ort genutzt, um wartende Impfwillige zu befragen. Wir haben die Göttinger Professor*innen Claudia Keser und Holger Rau gefragt, welche Erkenntnisse sie in ihrer gemeinsamen Studie gewonnen haben.

Zwei Mitarbeiterinnen haben an drei Terminen im Dezember insgesamt 172 Impfwillige zu ihrer Motivation befragt. Worum ging es dabei genau?

Wir wollten untersuchen, was diese Menschen dazu bewogen hat, sich stundenlang in die Schlange zu stellen, um eine Impfung zu erhalten. Wir haben den Teilnehmenden Fragen zu ihrem Vertrauen in den Impfstoff (Wirksamkeit, Angst vor Nebenwirkungen) und ihre Impfmotivation gestellt. Hinsichtlich der Motivation interessierten wir uns insbesondere dafür, in wie weit sie folgende Aspekte für relevant hielten: (1) Selbstschutz, (2) Schutz anderer, (3) Angst vor Omikron, (4) Zugang zu beschränkten Bereichen in der Öffentlichkeit erhalten („3G/2G/2G+“), (5) gesellschaftlicher Druck.

Das Besondere unserer Studie ist, dass wir auch persönliche Eigenschaften der Teilnehmenden erhoben haben. Genauer gesagt, haben wir ökonomische Präferenzen wie Risikoeinstellung, Geduld und Altruismus, sowie Regelkonformität und Einstellung zu Bürgerpflichten abgefragt.

Anschließend haben Sie die erhobenen Daten ausgewertet. Was sind zentrale Ergebnisse?

Unsere Ergebnisse zeigen, dass risikoscheue und regelkonforme Menschen eine Impfung möchten, um sich und andere vor Corona zu schützen. Diese Motivation spielt für Frauen eine besonders wichtige Rolle. Auch Angst vor der neuen Omikron-Variante verstärkt die Schutzmotivation. Im Gegensatz dazu wirken „3G/2G/2G+“-Regelungen als Impfanreiz für risikofreudige und wenig altruistische Personen, die sich impfen lassen, um wieder Zugang zu öffentlichen Bereichen wie Bars und Restaurants zu bekommen. Darüber hinaus kann gesellschaftlicher Druck risikofreudige Menschen dazu bewegen, sich impfen zu lassen.

Aktuell hat rund drei Viertel der Bevölkerung in Deutschland einen Grundschutz gegen das Corona-Virus; etwas mehr als die Hälfte hat zusätzlich eine Auffrischungsimpfung, den sogenannten Booster, erhalten. Lassen sich aus Ihrer Studie hier vor Ort Strategien folgern, wie beim Rest die Impfmotivation gesteigert werden kann?

Zunächst muss darauf hingewiesen werden, dass unter den von uns Befragten nur sehr wenige waren, die zur Erstimpfung gekommen sind. Dennoch lassen sich aus unseren Untersuchungsdaten interessante Ergebnisse in Bezug auf bestimmte Personengruppen ableiten. Sollte es möglich sein, diese Personengruppen anhand ihrer Verhaltensweisen zu identifizieren, hilft uns das bei der regionalen Ausgestaltung von Corona-Regeln.

Beispielsweise deuten Regionen mit niedriger Inzidenz darauf hin, dass die Bevölkerung dort vermutlich eher risikoscheu und regelkonform ist. In diesem Fall empfehlen sich Informationskampagnen, welche Impfungen als Instrument zum Selbstschutz und dem Schutz anderer bewerben. Im Gegensatz dazu können Regionen mit hoher Inzidenz auf ein risikofreudigeres Verhalten der Bürger*innen hinweisen. Dort wäre dann der Einsatz von Impfanreizen vielversprechender als Informationskampagnen. Beispielsweise könnten Anreize durch Zugangsregelungen wie zum Beispiel die „G“-Regeln oder die Erlassung der Testpflicht für Geboosterte bei „2G+“ gesetzt werden.

Interessante Möglichkeiten gibt es auch im Unternehmenskontext. Wir können davon ausgehen, dass sich Mitarbeiter*innen in verschiedenen Branchen hinsichtlich ihrer ökonomischen Präferenzen unterscheiden. Vermutlich finden wir im Pflegebereich oder im Lehramt einen hohen Anteil an risikoscheuen Arbeitnehmer*innen, so dass sich dort Informationskampagnen über die Schutzwirkung der COVID-19-Impfung anbieten. Im kompetitiven Finanzbereich allerdings könnten Impfanreize durch Zugangsbeschränkungen wirkungsvoller sein. Außerdem könnten Firmen Regeln einführen, die Bonuszahlungen an risikofreudige Arbeitnehmer*innen nur dann ausgeben, wenn diese nachweislich geimpft sind.

Ein Working Paper zur Studie „Policy Incentives and Determinants of Citizens‘ COVID-19 Vaccination Motives” ist hier zu finden: https://www.uni-goettingen.de/de/622839.html

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