Biodiversität – Reichtum der Natur

Copyright: Universitäe Göttingen / Klein und Neumann, Iserlohn

Professor Teja Tscharntke, Department für Nutzpflanzenwissenschaften an der Universität Göttingen, ist der am häufigsten zitierte Ökologe im deutschsprachigen Raum. Mit ihm sprechen wir über Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität.

Trotz jahrzehntelanger Anstrengungen nimmt die Biodiversität weiter ab. Ist die Rettung der Artenvielfalt die wichtigste Aufgabe unserer Zeit?

Die globale Artenvielfalt und auch das Klima sind tatsächlich in dramatischer Weise gefährdet. Das alltägliche und massenhafte Aussterben von Arten zu akzeptieren, wäre ein ähnlich bedeutsamer Vandalismus wie die Vernichtung unseres kulturellen Erbes. Zudem birgt die große Vielfalt an Arten und Lebensräumen ein kaum zu überschätzendes Potenzial für Ökosystem-Leistungen, die jetzt und in Zukunft von elementarer Bedeutung sein werden.

Welche Rolle spielt die Struktur von Agrarlandschaften bei der Wiederherstellung einer funktionalen Biodiversität?

Die Landwirtschaft ist nach wie vor die bedeutendste Ursache der Biodiversitätsverluste weltweit – vor allem durch die stete Ausweitung der Landnutzung, aber auch durch die Intensivierung der Flächennutzung. Ein nachhaltiger Schutz von Arten kann nur durch den Erhalt oder die Wiederherstellung von ganzen Landschaften und Regionen erfolgen, da das Überleben von Arten nicht auf einer Fläche, sondern nur auf großen räumlichen Skalen zu sichern ist. Insofern geht es bei der Landwirtschaft darum, ganze Agrarlandschaften Biodiversitäts-freundlich zu gestalten – mit vielen naturnahen Flächen (mehr als 20 Prozent), mit kleinen Feldern (nicht ‘zig Hektar, sondern zum Beispiel ein Hektar) und einer Diversifizierung des Anbaus in räumlicher (zum Beispiel Mischanbau) und zeitlicher Hinsicht (erweiterte Fruchtfolgen). Das sollte nicht nur auf den weniger als zehn Prozent Flächen des Öko-Landbaus vonstattengehen, sondern vor allem auch in der konventionellen Landwirtschaft. Nur so sind die wichtigen Ökosystemfunktionen wie die Bestäubung von Nutzpflanzen, die für 85 Prozent der wichtigsten globalen Feldfrüchte bedeutsam ist, und die biologische Schädlingsbekämpfung dauerhaft zu erhalten. Dabei darf nicht vergessen werden, dass weltweit das Rückgrat der nachhaltigen Ernährung die rund zwei Milliarden Kleinbauern sind, die jeweils nur weniger als zwei Hektar Land bewirtschaften, aber 83 Prozent aller Bauern stellen.

Copyright: Universität Göttingen / Klein und Neumann, Iserlohn

Als Biologe setzen Sie sich seit Jahrzehnten für die Belange der Agrarökologie ein. Zugleich sind Sie auch Soziologe. Wie ergänzen sich die sozial- und naturwissenschaftliche Perspektive?

Ökologie und Agrarökologie sind zuvorderst Naturwissenschaften, bei denen es um die Wechselwirkungen geht, die Häufigkeit und Verteilung von Organismen bestimmen. So sind wir beispielsweise daran interessiert, welche Schlüsselfaktoren für den Erfolg von Pflanze-Bestäuber-Interaktionen oder für die Regulation pflanzenfressender Insekten durch ihre parasitischen und räuberischen Gegenspieler verantwortlich sind. In den vergangenen Jahrzehnten rückten die angewandten Seiten dieser Forschung in den Vordergrund, namentlich die Schlussfolgerungen für eine Biodiversitäts-freundliche Landwirtschaft bei uns wie auch in den Tropen. Dabei spielen soziale Überlegungen eine zentrale Rolle. Landwirte informieren sich nicht anhand von englischsprachigen Publikationen, sondern durch popularisierte Darstellungen, Beratungen und Diskussionen. Bei praktischen Vorschlägen ist zu berücksichtigen, welche Tradition und welche Interessen hinter den Entscheidungen der Landwirte stecken. Nur eine umfängliche Berücksichtigung des sozio-ökonomischen Umfelds kann überzeugen und stellt meist auch einen sozial-ökologischen Kompromiss dar.

(Anmerkung der Redaktion: Dieser Text ist ein Auszug aus dem Portrait von Prof. Dr. Teja Tscharntke im Jahresbericht 2021. Der komplette Jahresbericht ist auf den Webseiten der Universität verfügbar, das vollständige Interview findet sich dort ab Seite 21.)

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