Das Spiel ist die Wissenschaft der Kinder

Prof. Dr. Timo Betz, Biophysiker an der Universität Göttingen. Foto: Peter Leßmann

Prof. Dr. Timo Betz ist Biophysiker an der Universität Göttingen. Wie nah sich Wissenschaft und Spiel kommen können, zeigt er mit seinem „Lego-Mikroskop“, ein aus Legosteinen und einer Linse gefertigtem Mikroskop, mit dem auch Kinder in die Welt der Zellen eintauchen können.

Herr Betz, wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Ich hatte vor einiger Zeit einen Vortrag bei der Kinderuni in Münster vorbereitet. Da meine Forschungsmikroskope einfach zu groß sind, konnte ich sie nicht mit auf die Bühne bringen. Mein Wunsch war aber auch, einige Zellen und Mikroorganismen zu zeigen, denn einfach nur Bilder zu präsentieren, ist für Kinder meistens zu langweilig und abstrakt. Zu dieser Zeit hatte ich immer wieder mit meinem Sohn Lego gebaut, und da fragte ich ihn, ob wir versuchen wollen, gemeinsam ein richtiges Mikroskop aus Lego zu bauen, das ich dann bei der Kinderuni mitbringen konnte. Er war sofort Feuer und Flamme und wir begannen das Mikroskop zu bauen. Einige wichtige Ideen kamen dann auch von ihm, zum Beispiel die Beleuchtung, für die er auch ein Lego-Teil fand und einbaute… davor nutzte ich immer mein Telefon als Lichtquelle. Seine Idee fand ich echt klasse!

Einige Zeit später hatten wir es wirklich geschafft. Während der Vorlesung saß er am Rande der Bühne und baute das Mikroskop vor den Augen der anderen Kinder zusammen. Am Ende konnten dann alle auf die Bühne kommen und es ausprobieren. Es war ein ganz schönes Gewusel und alle wollten unbedingt die Pläne für das Mikroskop haben. Dabei wurde mir klar, dass man hier vielleicht einen tollen Zugang zu Kindern bekommt, um sie für Wissenschaft zu interessieren. Ich habe mich dann mit ein paar Lehrer*innen getroffen, mögliche Konzepte besprochen und einer meiner Mitarbeiter*innen hat diese dann umgesetzt. Leider konnten wir das Mikroskop durch die Coronabeschränkungen nicht im Klassenzimmer ausprobieren, daher beschlossen wir, es als wissenschaftliche Publikation an ein breiteres Publikum zu bringen. Jetzt ist es über eine Open-Source Website (GitHub) mit Plänen und Teileliste für alle zugänglich.

Was war die größte Herausforderung beim Bau?
Auch wenn es vielleicht den meisten Menschen nicht klar ist, ein klassisches Mikroskop besteht im Wesentlichen nur aus zwei Linsen. Allerdings ist es wichtig, dass diese sehr sauber positioniert werden können, um ein scharfes Bild zu erhalten. Wenn man also bis in die Mikrowelt vordringen will, muss man auch eine der Linsen, nämlich das Objektiv, sehr genau justieren können. Auch wenn Lego wirklich tolle Teile hat, so ist es doch nicht dafür vorgesehen, ein Bauteil mit der Genauigkeit eines Haardurchmessers positionieren zu können. Allerdings konnten wir das über einen Schneckenantrieb, einer Kombination aus Schraubgetriebe und Zahnradgetriebe, in der Tat erreichen. Eine weitere Herausforderung war natürlich die Optik. Der Grund, warum wissenschaftliche Mikroskope so teuer sind, liegt zu einem großen Teil an den Hochleistungsoptiken. Ziel war aber gerade, auf solche speziellen und teuren Teile zu verzichten. Anfangs versuchte ich einfach, eine einen Millimeter kleine Glaskugel zu nutzen. Mit solchen Kugeln wurden vor etwa 400 Jahren die ersten Mikroskope gebaut, die sogar Einzeller erkennen ließen. Mit der Kugel gab es leider zu große Verzerrungen und ich war sicher, dass ich damit keine Kinder begeistern kann. Bei der Suche nach einer Lösung bin ich über eine Publikation gestoßen, die das Kameramodul eines Smartphones nutzt. Kurzerhand habe ich mir bei eBay ein Ersatzkameramodul besorgt und alles, was eigentlich wertvoll ist – also Chip, Elektronik und Fokussteuerung –, entfernt. Als ich die Plastiklinse dann in die Lego-Konstruktion eingefasst und alles montiert hatte, war ich verblüfft. Die Qualität war nämlich äußerst gut. Wir konnten eine Auflösung von unter einem Mikrometer erreichen. Es fehlten dann nur noch einfachere Linsen, um andere Vergrößerungen zu erreichen, und um das sogenannte Okular zu basteln. Da wurden wir bei billigen Plastik- und einfachen Glaslinsen fündig.  Als wir die Probleme der Positionierung und der Optiken gelöst hatten, war der Rest nur noch Fleißarbeit.

Im Grunde hat das Lego-Mikroskop vier wesentliche Teile. Eine Basis mit der Beleuchtung, auf die man die Probe legt. Darauf aufgebaut ist der Mikroskop-Körper, der dafür sorgt, dass die weiteren Abstände korrekt sind und alles mechanisch stabil ist. Am Rande des Körpers ist der Objektiv-Halter mit dem Schneckenantrieb zur Positionierung der Objektive. Die Objektive sind Legofassungen für die verschiedenen Linsen, mit denen man unterschiedliche Vergrößerungen erreichen kann. Das vierte und letzte Teil ist dann noch das Okular, durch welches man sein Objekt betrachtet.

Wir haben eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für Schulen zusammengestellt, das sogenannte Entdecker-Set. Dabei können die Kinder die verschiedenen Teile einzeln bauen, kennenlernen, und sie dann Schritt für Schritt zusammensetzten. Wenn man es genau nimmt, ist ein Mikroskop nur eine Kombination von zwei Lupen, und genau das versuchen wir den Kindern zu vermitteln.

Nun hat Ihre Idee ein sehr großes Echo in den sozialen Medien bekommen. Offenbar trifft sie auch bei Erwachsenen einen Nerv. Glauben Sie, dass wir mehr Spiel in der Wissenschaft brauchen?
Wir waren geradezu überfahren von der Geschwindigkeit, mit der unsere Twitter-Botschaft weiterverbreitet wurde. Nach zwei Wochen landete die Anleitung bei „Hacker News“, und wir hatten nochmal über 20.000 neue Besucher auf der GitHub Seite. Also haben wir in der Tat auch eine breite Masse an Menschen erreicht, die keinen wissenschaftlichen Hintergrund haben. Das freut mich sehr, denn Ziel des Mikroskops ist es ja, die Faszination für Wissenschaft in der Breite der Bevölkerung zu wecken.  Anfänglich waren es vor allem andere Wissenschaftler*innen, die selber als Kind gerne mit Lego spielten, die auf das Mikroskop aufmerksam wurden. Als Wissenschaftler*in ist man immer fasziniert davon, Grenzen zu überschreiten. Und eine Grenze in unseren Köpfen ist oft die Annahme, dass wissenschaftliche Geräte auch teuer und komplex sein müssen. Unser Lego Mikroskop zeigt einfach, dass es nicht immer darauf ankommt die teuerste Ausstattung zu haben, sondern dass man mit Kreativität und der Kenntnis der Naturgesetze auch Dinge erreichen kann, die man sonst nur durch Komplexität zu erreichen glaubt.

Das Spiel ist die Wissenschaft der Kinder, um ihre Umwelt zu erfahren und besser zu verstehen. Durch das Spielen werden verschiedene Situationen ausprobiert, und der Horizont der Kinder erweitert. Unsere moderne Wissenschaft hat im Grunde dieselben Ziele, mit dem Unterschied, dass Wissenschaft strukturiert ist und strengen Prinzipien folgt. Also nein, wir brauchen nicht mehr Spiel in der Wissenschaft, aber Spiel und Wissenschaft sind auch keine Gegensätze und Forscherdrang und Spieltrieb sind nicht so verschieden wie man es vielleicht denken mag.

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