Playlist und Podcast

Vorlesungen per Live-Stream oder auf der eCampus-Plattform: Das Sommersemester an der Universität Göttingen ist digital. Viele Lehrende haben sich Gedanken gemacht, wie sie unter diesen Bedingungen ihren Studierenden den Lehrstoff vermitteln. Ideenreich sind zum Beispiel zwei Dozenten der Juristischen Fakultät.

Grundrechte mit Musik

Menschenwürde, freie Meinungsäußerung, Religionsfreiheit und der Schutz der Familie: Eine Vorlesung zu unseren Grundrechten steht bei Prof. Dr. Hans Michael Heinig auf dem Programm. Dafür bietet er eine Mischung aus Audio-Podcast mit Folienpräsentation, Videos, Lektürematerialien und jede Menge Musik an – von Katie Melua bis zu den Toten Hosen, von Frank Sinatra bis zu den Rolling Stones beim Online-Event „One World: Together at Home“.

Denn zu jedem Grundrecht gibt es passende Lieder. Nach Heinigs Aufruf bei Twitter gingen innerhalb weniger Stunden zahlreiche Vorschläge ein. Viele davon sind nun auf seiner Grundrechte-Playlist zu finden. „Ich habe nur Titel aufgenommen, die ich selbst auch hören mag“, betont Heinig. Jüngere Untersuchungen betonen, dass in den großen Jura-Vorlesungen der persönliche Austausch, die soziale Bindung zu den Dozierenden oft zu kurz kommt. Das Problem verschärft sich nun durch die reine Online-Lehre. „Durch Twitter, aber auch durch so eine Playlist kann ich Studierende noch einmal anders ansprechen“, so Heinig.

Die Liederauswahl ist aber mehr als ein Gag. Zu Slimes „Deutschland muss sterben, damit wir leben können“ zum Beispiel gibt es eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. „Der Song entspricht offensichtlich nicht dem Selbstbild des Grundgesetzes. Aber man kann an dem Beispiel verstehen, wie Kunstfreiheit funktioniert und wo etwaige Grenzen verlaufen.“ Gute Lieder mit ihren starken Emotionen bewirken auch noch etwas anderes, meint Heinig: Wenn Musik die Abgründe von Lynchjustiz oder massive Beschneidungen der Versammlungsfreiheit thematisiert, könne das helfen, Studierende für entsprechende Grundrechtsfragen zu sensibilisieren und dann bei ihnen auch Verständnis für rechtstechnische Aspekte zu wecken. „Es geht bei Grundrechten ja nicht nur um dröges Fachwissen, sondern um Grundfragen unseres friedlichen Zusammenlebens.“

Das Göttinger Sieben-Denkmal von Günter Grass auf dem Zentralcampus.

Verfassungsgeschichte(n)

„Verfassungsgeschichte der Neuzeit“ lautet das Thema der Vorlesung, die Privatdozent Dr. Alexander Thiele in diesem Semester hält. Dafür hat er den Weg eines Podcasts gewählt, denn das Thema lässt sich in spannende Geschichten verpacken, die nicht zuletzt in besonderer Weise mit Göttingen verbunden sind: „Die Preußischen Reformer vom Stein und Hardenberg haben hier studiert und die Reicheinigung von 1871 wurde maßgeblich von Bismarck betrieben, der ebenfalls einige Zeit an der Universität Göttingen verbracht hat“, so Thiele. „Schließlich sei an die Göttinger Sieben erinnert, jene Professoren, die im Jahr 1837 den Aufstand gegen den Herrscher wagten, als dieser die Verfassung einseitig zurücknahm, und dafür bereit waren, ihre Stellung zu riskieren.“

Thiele hofft, damit zugleich Interesse für die Universitäts- und Stadtgeschichte zu wecken. Deshalb bietet er den Podcast nicht nur für die Studierenden, sondern Allen frei zugänglich an. „Ich möchte einen Beitrag zu einer modernen Wissenschaftskommunikation leisten und hoffe, auch das allgemeine Interesse an der Rechtswissenschaft zu steigern. Denn am Ende geht es bei der Rechtswissenschaft um eine fundamentale Frage der Menschheit: Die nach der Gerechtigkeit.“

Ohne Erfahrungen mit dem Produzieren von Podcasts musste sich Thiele am Anfang des Projekts ganz anderen Fragen stellen: Welches Programm nutze ich? Wo bekomme ich ein vernünftiges Mikro her? Wo finde ich urheberrechtlich freie Musik? „Mittlerweile kann ich aber zumindest die Spuren allein mischen. Das ginge gewiss alles noch sehr viel besser, aber am Ende geht es ja primär um die Wissensvermittlung.“ Jetzt wünscht er allen Interessierten viel Spaß beim Hören und freut sich auf Feedback. Und er betont: Juristisches Fachwissen ist nicht erforderlich.

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